Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust!

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Ein Plakat als Hommage an die vorherige Generation

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Wir haben ein Plakat erstellt, dass Bilder und Texte unserer Vorgänger*innen kombiniert und in dem sich herauskristallisiert wie frühere anarchistische Generationen die Relation zwischen Widerstand gegen die herrschende Ordnung und dem Aufbau von Alternativen gesehen haben. Im Folgenden zeichnen wir die Geschichte der einzelnen Elemente des Plakats nach.

»Laßt uns also dem ewigen Geiste vertrauen, der nur deshalb zerstört und vernichtet, weil er der unergründliche und ewig schaffende Quell alles Lebens ist. – Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust!«

– Mikhail Bakunin, ›Die Reaktion in Deutschland‹

Hier klicken um das Poster runter zu laden

Gedruckt können die Poster bei Black Mosquito bestellt werden

Eine deutschsprachige Version findet ihr hier


Die Illustration

Die Illustration erschien ursprünglich 2001, auf dem Höhepunkt einer Welle anti-kapitalistischer Aktivitäten (die manchmal als ›Antiglobalisierungsbewegung‹ bezeichnet wird), auf einer 7“-Platte der dänischen Anarchopunkband Paragraf 119. Die Band entstand als Teil der anarchistischen Punk und Hausbesetzungsbewegung in den 1990ern, die sich in Kopenhagen rund um das besetze Ungdomshuset zentrierte. Benannt ist sie nach dem Paragrafen, der es im dänischen Recht verbietet Beamt*innen zu verletzten (›Und wenn ein Polizist mit seinem Leben bezahlen will - für uns ist das OK‹). Ein anderes Album von Paragraf 119 ist mit Fotos von jedem einzelnen Bandmitglied, wie er*sie wegen ›Störung der öffentlichen Ordnung‹ fest genommen wird, illustriert. Das ist Punk in seiner besten Form – nicht als Musikstil, sondern als Widerstandskultur, bei der die Lieder ihre Kraft aus der Gemeinsamkeit zwischen Performer*innen und Zuhörer*innen ziehen und ein kollektiver Raum geschaffen wird, in welchem die Hymnen eine wirkliche Bedeutung bekommen.

Das Cover der 7” von Paragraf 119, auf der die Zeichnung dieses Plakats ursprünglich erschien.

Erinnert euch an sie, an jeden einzelnen, bis zum Tag an dem wir zurückschlagen
Erinnert auch an jeden Schlag, an jede verhaftete Aktivistin
Erinnert euch an die gebrochenen Gefährten, an jeden ermordeten Anarchisten
Erinnert euch an die falschen Anklagen, erinnert euch an jede Verletzung
Erinnert euch an all die Ungerechtigkeiten von den Herrschenden begangen wurden
Nichts ist vergessen, nichts ist vergeben.

-Paragraf 119, ›Intet Glemt, Intet Tilgivet‹) (›Nichts ist vergessen, nichts ist vergeben.‹) auf der ›Musik til Ulempe‹ 7”

Ein Gemälde des Plakates im anarchistischen besetzten Haus (steki) in der Wirtschaftsschule in Athen, Griechenland.

Der Text

Wir haben für die deutschsprachige Variante des Posters das Zitat von Bakunin gewählt, da eine deutsche Übersetzung des Slogans ›Life Is Ecstatic Intercourse between Destruction and Creation‹ (›Leben ist ein ekstatischer Akt zwischen Zerstörung und Schöpfung‹) nicht in der Form funktionieren würde.

Soweit wir wissen ist der Slogan ›Life Is Ecstatic Intercourse between Destruction and Creation‹ erstmals auf dem Cover der fünften Ausgabe der öko-anarchistischen Zeitschritf ›Live Wild or Die‹ um 1994 herum in Berkeley (Kalifornien) erschienen.

Gemeinsam mit ›Do or Die‹ (und später ›Disorderly Conduct‹) bediente ›Live Wild or Die!‹ in einer Zeit vor weit verbreitetem Internetzugang die radikalsten und kompromisslosesten Elemente der ökologischen Bewegung. Die ersten 3 Ausgaben können hier nachgelesen werden.

Vom Cover von ›Live Wild or Die!‹ #5.


Der kleiner geschrieben Text auf dem Plakat ist Auszug aus einem bekannten Interview mit dem spanischen Anarchisten Buneventura Durruti, das am 5. August 1936 im Toronto Daily Star erschien. Dieses Interview hat auch heute noch einiges an Aktualität, insbesondere da in den USA die jüngste Regierung vorgibt gegen den Faschismus zu sein, aber weiterhin der Repression gegen Anarchist*innen und Antifaschist*innen die Priorität einräumt:

»Das Arbeitervolk ist bewaffnet. Die Armee zählt nicht in diesem Gefecht. Es gibt zwei Lager: Die einen kämpfen für die Freiheit, die anderen dafür, sie niederzuwerfen. Alle Arbeiter Spaniens wissen, daß ein Sieg des Faschismus Hunger und Sklaverei bedeuten wird. Aber auch die Faschisten wissen, was sie erwartet, wenn sie verlieren. Daher ist der Kampf unversöhnlich. Für uns handelt es sich darum, den Faschismus niederzuwerfen, und zwar so, daß er nie wieder sein Haupt in Spanien erhebt. Wir sind entschlossen ein für alle mal mit ihm aufzuräumen, und zwar trotz der Regierung.

›Warum sagen Sie trotz der Regierung? Bekämpft diese Regierung etwa nicht die faschistische Rebellion?‹ fragte der Journalist überrascht.

›Keine Regierung der Welt kämpft gegen den Faschismus bis zu seiner vollständigen Niederwerfung‹, antwortete Durruti. ›Wenn die Bourgeoisie sieht, daß ihr die Macht aus den Händen gleitet, dann greift sie auf den Faschismus zurück, um ihre Privilegien zu erhalten. Und das ist es, was in Spanien geschieht. Wenn die republikanische Regierung mit den faschistischen Elementen hätte Schluß machen wollen, hätte sie das schon längst tun können. Stattdessen fügte sie sich, gab nach und vergeudete ihre Zeit damit, Kompromisse mit ihnen zu suchen. Sogar jetzt gibt es noch Mitglieder der Regierung, die nur sehr gemäßigte Maßnahmen gegen die Faschisten ergreifen wollen. Und wer weiß‹, meinte Durruti lachend, ›ob die Regierung nicht vielleicht vorhat, sich der Streitmacht der Putschisten zu bedienen, um die von den Arbeitern entfesselte Revolutionsbewegung niederzuschlagen!‹

[…]

›Aber können Sie den Krieg alleine gewinnen?‹ fragte ich ihn geradeheraus. Durruti antwortete nicht. Er strich sich nachdenklich das Kinn. Seine Augen glänzten. ›Und selbst wenn Sie siegen, werden sie Berge von Ruinen erben.‹, wagte ich sein Schweigen zu unterbrechen.

Durruti schien aus tiefen Gedanken aufzuwachen, und er erwiderte mir mit sanfter, aber sicherer Stimme: ›Wir haben immer im Elend gelebt, und wir werden uns dazu bequemen, es noch ein wenig länger auszuhalten. Aber vergessen Sie nicht, daß die Arbeiter die einzigen Produzenten allen Reichtums sind. Wir, die Arbeiter, sind es die die Maschinen in der Industrie am Laufen halten, die Kohle und die Mineralien aus den Minen zutage fördern, wir sind es, die die Städte bauen… Warum also sollten wir nicht alles, was zerstört wird, wiederaufbauen, und das unter besseren Bedingungen? Ruinen machen uns keine Angst. Wir wissen, daß wir nichts als Ruinen erben werden, denn die Bourgeoisie wird in der letzten Phase ihrer Geschichte versuchen, die ganze Welt in Ruinen zu verwandeln. Aber ich sage Ihnen noch einmal, uns, den Arbeitern, machen die Ruinen keine Angst, denn wir tragen eine neue Welt in unseren Herzen‹, murmelte er mit rauer Stimme. Und dann fügte er hinzu: ›Und diese Welt wächst in diesem Augenblick.‹«

  • ›Durruti. Leben und Tode des spanischen Anarchisten.‹, Abel Paz

Im Laufe des späteren 20. Jahrhunderts war die globale Hausbesetzungsbewegung eine der wesentlichen Faktoren über die sich anarchistische Ideen von einer Generation zur nächsten weiter trugen – und das wortwörtlich in den Ruinen. Wenn sich anarchistische Ideen heutzutage in weitere soziale Kreise ausbreiten, dann ist das auch den Initiativen der Generationen von Hausbesetzer*innen und Öko-Saboteur*innen zu verdanken – und jenen widmen wir dieses Plakat.


Übersetzt von der BM-Crew