Wir präsentieren hier auf arabisch und englisch einen offenen Brief von Teilnehmer*innen an Schwarzen-Block-Aktionen in den Vereinigten Staaten an Teilnehmer*innen des ägyptischen Schwarzen Blocks. Er zielt auf den Beginn eines Dialoges ab, der über den Austausch von Youtube-Videos hinaus geht. Das ist für alle auf der Welt von Interesse, die für Befreiung kämpfen, also druckt und verbreitet ihn.
Das Auftauchen des Schwarzen Blocks in Ägypten zu diesem Zeitpunkt sollte uns nicht so sehr überraschen, wie es die Pazifist*innen und Autoritären überrascht. Die Kämpfe des 21. Jahrhunderts werden weder auf den gewaltfreien zivilen Ungehorsam noch auf den Reformismus beschränkt bleiben; sie kommen nicht umhin, in einen offenen Konflikt mit dem Staat zu geraten. Außerdem werden sie, dem Umfang und Charakter nach, zunehmend international. Wann immer irgendwo auf der Welt jemand für seine eigenen Belange aufsteht – wie ungeschickt und bescheiden auch immer – dann setzt das einen Präzedenzfall für die nächste Generation des Widerstandes. Lasst uns dafür sorgen, dass wir uns der Lage gewachsen zeigen.
An den Schwarzen Block von Ägypten.
Von einigen „Anarchist*innen des Schwarzen Block“ in den Vereinigten Staaten
Ihr schlagt den Ton an – er klingt in uns.
Es ist uns eine Ehre an euch zu schreiben – wegen eures Mutes im sich weiter entfaltenden Kampf in Ägypten.
Anderthalb Jahrzehnte lang haben wir in den Vereinigten Staaten und anderswo in der Welt an Schwarzen-Block-Aktionen teilgenommen. Natürlich repräsentieren wir nichts und niemanden; der Schwarze Block ist eine Taktik, keine Gruppe – das ist es auch, was ihn für unsere Herrscher so furchterregend macht. Jedoch würden wir, auf Grundlage unserer Erfahrung mit dieser Taktik, gerne einige unserer Perspektiven teilen, in der Hoffnung, einen expliziteren interkontinentalen Dialog zu etablieren.
Wir standen bereits in eine Art Dialog mit euch, indem wir Signale der Revolte über den Ozean austauschten. Wir haben hier Berichte über euren Kampf zirkulieren lassen und nun sehen wir Fotos und Videos unserer Aktionen in Youtube-Kollagen aus Ägypten. Aber wir wollen mehr Dialog als es Youtube-Kollagen erlauben. Wir wollen in der Lage sein auch über Strategie, Taktik und Ziele zu diskutieren.
Vorneweg und vor allem: Ihr seit nicht alleine. Ihr seid Teil eines in der ganzen Welt stattfindenden Kampfes gegen unterdrückende Macht. Die gleiche Wirtschaft, die Ägypten ausplündert, richtet unser Leben und das Land hier in den Vereinigten Staaten zugrunde. Dieselben Netzwerke bewaffneter Kräfte, die euch in Kairo mit Tränengas eindecken, halten die „Ordnung“ in New York City aufrecht. Wenn wir in diesem Kampf irgendetwas gewinnen wollen, können wir das nur international.
Es ist beschämend, dass wir so lange brauchten, um euch auf arabisch zu schreiben – was zeigt, wie unvorbereitet wir für die Möglichkeiten sind, die uns die Geschichte bietet. Aber dass könnte sich in den kommenden Jahren schnell ändern. Es wird sich ändern müssen.
Wir haben unsere Erfahrung mit der Schwarzen-Block-Taktik unter Bedingungen gesammelt, die ihr wohl ungünstig nennen würdet – als eine kleine Minderheit, die gegen stabile Machtstrukturen agierte, ohne viel Unterstützung vom Rest der Gesellschaft. Der Schwarze Block kam in diesem Kontext auf und es ist interessant, ihn in einer Situation allgemeinerer Revolte auftauchen zu sehen.
Tatsächlich sind alle von der Langlebigkeit des Schwarzen Blocks überrascht. Immer wieder wurde er für tot erklärt, aber dennoch kommt er immer wieder zurück. Das liegt daran, dass er, wie Anonymous, den Geist unserer Zeit ausdrückt. In eine Ära, in der enorme Ungleichheit durch Überwachung und Kontrolle aufrechterhalten werden, kommt keine bedeutsame Bewegung ohne Anonymität und Zusammenstöße mit der Polizei aus.
Der Schwarze Block ist wichtig, weil er dieser Anonymität und dem Widerspruch einen politischen Inhalt gibt: Er verknüpft besondere Kämpfe gegen Unterdrückung mit der Möglichkeit eines verallgemeinerten Kampfes gegen jede beherrschende Macht. Es ist ein Coup, den anonymen, kollektive Konfrontationen mit den Autoritäten die „Marke“ anarchistisch zu verpassen – das bedeutet, dass alle, die für sich gegen die Autoritäten aufstehen, sich früher oder später fragen müssen, was ihre Beziehung zu den Kämpfen anderer ist.
Es passt, dass der Schwarze Block in Ägypten zum zweiten Geburtstag einer Erhebung auftaucht, die nur eine Tyrannei durch eine andere ersetzt hat. Die durch den Kapitalismus und die Regierung verursachten Probleme können nicht durch einen bloßen Austausch der Regimes gelöst werden. Es wird ein grundsätzlicher Kampf nötig sein – das Auftauchen von gesellschaftlichen Formationen, die sich gegen Regierung und Kapitalismus verteidigen können. Es geht weder darum, Forderungen an diejenigen an der Macht zu stellen, noch kann man das einfach dadurch erreichen, dass man die Paläste der Präsidenten angreift. Es ist nötig, dass wir den Herrschaftsstrukturen überall entgegentreten wo sie erscheinen und dabei unsere Strategie verändern, weg vom bloßen Protest, hin zur Geltendmachung einer anderen Lebensweise.
Die Kritiken am Schwarzen Block in Ägypten sind uns alle wohlbekannt – wir haben die Reaktionäre seit 1999 aus demselben Drehbuch vorlesen sehen: Ihr werdet für die Gewalt der Polizei verantwortlich gemacht, während die Polizei immer genau so gewalttätig ist, wie sie zu sein hat, um ihre Vorherrschaft zu behaupten; ihre andauernde Gewalt wird überhaupt nur sichtbar, weil ihr dem Widerstand leistet. Leute mit mehr Privilegien und Macht als ihr beschuldigen euch, verzogene reiche Kids zu sein. Diejenigen, die nicht Willens sind, dergleichen Risiken auf sich zu nehmen, beschuldigen euch der Feigheit. Diejenigen, die andere Ziele haben als ihr, beklagen, dass ihr unstrategisch seid. Diejenigen, denen Demokratie die Verstärkung ihrer eigenen Stimme bedeutet, bestehen darauf, dass ihr euch dem Mehrheitsgesetz unterordnen sollt – um euch zum Schweigen zu bringen. Diejenigen, die von ausländischer Militärhilfe abhängen, die sich dem ausländischen politischen Druck beugen und das ägyptische Volk verkaufen, beschuldigen euch, ausländische Taktiken zu importieren. Mehr als alles andere tun die Autoritäten jeder Spielart alles in ihrer Macht stehende, um euch von anderen zu isolieren, die vielleicht Widerstand leisten könnten.
Das ist nach unserer Erfahrung tatsächlich das größte Risiko bei der Verwendung der Schwarzen-Block-Taktik: Indem man der Anonymität und dem Kampf eine Identität gibt, bietet man den Autoritäten eine Möglichkeit aus uns ein „Anderes“ zu machen und so unsere Revolte und Ideen unter Quarantäne zu stellen. Es ist ein Fehler, wenn wir uns selbst vom Rest der Gesellschaft getrennt sehen. Der Schwarze Block ist nur solange machtvoll und gefährlich, solange er ein Raum einer Revolte bleibt, in den jede*r eintauchen kann – die Spitze des Eisbergs von etwas viel Breiterem. Unsere Herrscher fürchten keine Anarchist*innen – sie fürchten, dass sich anarchistische Werte und Praktiken ausbreiten.
Es ist wichtig, keinen Gegensatz dazwischen aufzubauen „zu unseren Zielen zu stehen“ und an Bewegungen teilzunehmen, die größer sind als wir. Einerseits muss klar sein, dass wir alle Formen der Herrschaft ablehnen; wenn wir das nicht tun, müssen alle immer wieder aufs neue lernen, wie wenig die Polizei und die von ihr aufgezwungene Armut sich von einer Regierung zur nächsten ändern. Darum sollten wir unsere Werte nicht unter demselben Banner der Demokratie verstecken, das auch den Machthunger anderer verkleidet: So legitimieren wir nur die Strukturen, die später gegen uns verwendet werden. Gleichzeitig müssen wir eine Offenheit aufrechterhalten, die es ermöglicht, dass Taktiken und Ideen zirkulieren. Anarchismus ist keine Identität, er hat für sich keine Bedeutung, er ist eine Beziehung, die sich ausbreiten muss.
In den Vereinigten Staaten sind Anarchist*innen auf beiden Seiten dieser Dichotomie in die Irre gegangen. Oft haben wir als Stoßtruppe und kostenlose Arbeiter für liberale Zwecke gedient und große Risiken auf uns genommen, um ihr Tagesprogramm voran zu bringen, während wir es nicht schafften, in Übereinstimmung mit unseren eigenen Analysen zu handeln. Wir hofften, das würde uns mit dem Rest der Gesellschaft verbinden, aber Verbindungen, die darauf beruhen, dass wir unsere Werte verbergen, sind bedeutungslos.
In anderen Situationen haben Anarchist*innen so gehandelt, als ob wir unsere Ziele alleine erreichen könnten und sich dabei in einem Privatkrieg mit der Polizei aufgerieben, bei dem alle anderen meinten, dass er nichts mit ihnen zu tun habe. Sicherlich können wir nicht auf den Massenkonsens warten, um mit unserem Projekt der Revolte zu beginnen, wir können andere in der Revolte nur finden, wenn wir uns selbst erheben – aber der Punkt ist, andere zu finden. Immer wieder fanden wir unsere eigenen Träume zu kühn, um sie vorzuschlagen, nur um dann zu sehen, wie andere Leute sie spontan zur Geltung bringen. Tatsächlich ist für uns die Zeit reif dafür, unsere Vorschläge voranzutreiben: Der Kapitalismus ist auf der ganzen Welt in der Krise und bald werden Millionen zwischen dem Totalitarismus und einer Art von Freiheit wählen müssen, die keine Regierung bieten kann.
Wenn es wahr ist, dass der Staat unsere Probleme nicht lösen kann, dann werden alle, die seine Autorität handhaben wollen, sich selbst diskreditieren, sobald sie an die Macht kommen. Je früher all die Muslimbruderschaften dieser Welt sich mit dem Staat verbinden, desto besser: Das wird die Dinge für diejenigen klären, die noch nicht verstanden haben, warum alle Anarchist*innen sein sollten. Wenn die Oppositionsparteien sich den Regierenden in dem Ruf anschließen, die Leute sollten von der Straße wegbleiben und die Straßen trotzdem voll bleiben, dann legt dies nahe, dass die Leute dabei sind zu kapieren. In dieser Situation könnten Anarchist*innen dabei helfen, Regimewechsel in soziale Revolutionen zu verwandeln, die das Alltagsleben vollständig umwälzen.
Die US-Regierung braucht in Ägypten eine Regierung, mit der sie die für den weltweiten Kapitalismus notwendige Rohstoffentnahme koordinieren kann. Der Schwarze Block macht ihr Angst, weil er mit ihrer Konzeption von Politik unvereinbar ist – er bietet niemanden an, mit dem man verhandeln könnte. Sie will alle politischen Parteien in „Gespräche“ bringen, um alle in ihre Machtstruktur einzuordnen. Wir wollen den Kampf den politischen Parteien vollständig aus den Händen nehmen und Gespräche unter Leuten statt mit Parteien und Regierungen einführen. Wir versuchen Kämpfe zu verbreiten, in denen wir direkt mit anderen kommunizieren und sie inspirieren, so wie ihr uns inspiriert habt.
Wir werden diesen Dialog in der sinnvollsten uns möglichen Weise fortführen – indem wir die Machtstrukturen hier in den Vereinigten Staaten in Frage stellen, die diejenigen in Ägypten und anderswo in der Welt stützen. Aber wenn irgendwer von euch uns Berichte von euren Kämpfen schicken oder Materialien vom Englischen ins Arabische und umgekehrt übersetzen könnte, wären wir hocherfreut, von euch zu hören. Mögen wir uns auf den Straßen einer staatenlosen Gesellschaft treffen.
rollingthunder@crimethinc.com
Quelle der deutschen Übersetzung: magazinredaktion.tk/black-bloc-egypt.php